pfmEuropapolitik, Gesundheit, Innenpolitk 18. August 2021 5 Minutes

Bis zum 8. August 2021 starben rund 28 000 oder 4,9% mehr Menschen als im gleichen Zeitraum in 2020. Die Übersterblichkeit lag fast durchgehend vor. Die Flutkatastrophe an Ahr und Erft spielt quantitativ keine Rolle. Übersterblichkeit trotz oder sogar wegen Impfkampagne? Teil 1: Gesamtbetrachtung

Von Gastautor Dr. Anton Stein

Bis zum Jahr 2020 wurde die Gefährlichkeit einer Grippewelle fast immer nur retrospektiv abgeschätzt, und zwar mittels Sterbezahlen bzw. statischen Untersuchungen, ob es während einer Grippewelle zu einer Erhöhung der Sterblichkeit kam oder eben nicht. Außer in „grauer Vorzeit“, also bei der sogenannten Spanischen Grippe 1918-1920, verfolgte niemand ernsthaft die Idee, Sterbezahlen anhand von Labordiagnosen wie z.B. seit 2020 mit einem PCR-Test zu messen bzw. abzuschätzen. Denn man wird zwangsläufig immer eine erhebliche Anzahl von Todesfällen „übersehen“, nämlich dann, wenn kein Testergebnis vorliegt.

Zudem soll es bisweilen ja auch eine überbordende Zuordnung zu COVID-19 gegeben haben, z.B. durch Todesfälle auf Intensivstation, bei denen ein, z.B., Krebspatient den Zufallsbefund SARS-CoV-2 (positiv) hatte, aber keinerlei klinische Anzeichen von COVID-19, und dennoch als COVID-19-Toter gezählt wurde. Derlei spielt bei dieser Auswertung keine Rolle.

Die Auswertung aller Sterbezahlen hat zudem gerade seit Beginn der Impfkampagne den Charme, dass auch verdeckte und möglicherweise verschwiegene Impftote mit eingehen, also das Risiko über alles gemessen wird und man somit auch den Nutzen unterm Strich erkennen kann. Die Frage ist dann nur: Gab es seit Beginn der Impfkampagne weniger, gleich viel oder gar mehr Todesfälle?

Vielen dürfte mittlerweile bekannt sein, dass es in 2020 bis zum Ende des Sommers keine Übersterblichkeit gab – und das trotz der angeblich schlimmsten Pandemie aller Zeiten und zudem noch ohne Impfkampagne. Über den weiteren Verlauf 2020 kann man vortrefflich streiten. Nimmt man die rohen Zahlen dann gab es 2020 eine leichte Übersterblichkeit. Gewichtet man die Zahlen aber nach dem Alter der Verstorbenen, verschwindet diese Übersterblichkeit weitgehend. Zudem bleibt eine Unsicherheit, weil die Impfkampagne am 26./27. Dezember 2020 begann und vermutlich zu einigen Todesfälle noch vor Jahresende führte.

Wie aber sieht es 2021 aus?

Ich habe hierzu die Daten des Deutschen Statistischen Bundesamtes (destatis) ausgewertet. Destatis bringt jeden Dienstag eine „Sonderauswertung Sterbefälle“ heraus, die neben den aktuellen Zahlen auch jene aus den Jahren 2016 bis 2021 bietet, außerdem die Betrachtung von Alter, Geschlecht und Bundesland erlaubt. Die jüngste Auflistung, auf der diese Analyse beruht, stammt vom 17. August 2021 (Stand der Daten 16.8.)und beinhaltet Sterbefälle bis zum 8. August 2021.

In diesem Artikel gehe ich auf die Tageswerte ein, und zwar ohne Berücksichtigung des Alters; dazu in einem späteren Artikel. Die täglichen Sterbezahlen der Jahre 2020 und 2021 habe ich mit den Mittelwerten der jeweiligen Tage der Jahre 2016-2019 normiert.

1. Tägliche Sterbezahlen 2020 und 2021
Blau, gestrichelt: 2020, Rot, durchgezogen: 2021, jeweils gleitender 7-Tage Durchschnitt. Die senkrechten Striche zeigen den Beginn der Impfkampagne (27. Dezember 2020) und die Hochwasserkatastrophe an Ahr und Erft (14. Juli 2021). Der Abfall am Ende der roten Kurve ist technisch bedingt und darf nicht interpretiert werden!
Basierend auf „Sonderauswertung Sterbefälle“ vom 17. August 2021, destatis.

Der Verlauf 2020

Man sieht einen kleinen, aber einigermaßen breiten Peak ungefähr am Tag 99, bzw. dem 8. April 2020. Dies war die erste bzw. die originale Welle von COVID-19. Zuvor waren die Sterbezahlen deutlich niedriger, d.h. bis etwa zum Tag 70 (10. März 2020) sogar unter 1, also einer Untersterblichkeit entsprechend. Dies erklärt sich dadurch, dass in 2020 die Grippewelle entweder ganz ausblieb oder aber wenigstens, also als COVID-19-Welle, viel später als in den Vorjahren erschien.

Bis zur Mitte des Jahres (ungefähr die rote Senkrechte) gab es keinerlei Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren, was man daran abschätzen kann, dass die blaue Kurve mal leicht über und mal leicht unter der 1er-Linie lag.

Danach gab es um den Tag 224 (11. August 2020) einen deutlich höheren und schmäleren Peak. Dieser wird gemeinhin einer damaligen Hitzewelle zugeordnet. Jedenfalls gab es im August 2020 praktisch keinerlei Corona-Aktivität und keine Lockdown-Maßnahmen bis auf die Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen und Seniorenheimen. Etwa ab dem Tag 327 (22. November 2020) gab es einen scharfen kontinuierlichen Anstieg, der gemeinhin als die zweite Corona-Welle gedeutet wird. Die höchsten Sterbezahlen wurden aber erst nach dem Beginn der Impfkampagne (27./27. Dezember 2020) gesehen. Das Ausmaß dieses Weihnachtspeaks wurde im Wesentlich durch das Bundesland Sachsen, daneben noch durch Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg bestimmt, nicht oder kaum durch die großen westlichen Bundesländer.

Der bisherige Verlauf in 2021

Der Peak der Sterbezahlen fiel genau mit dem Beginn der Impfkampagne zusammen. Es stellt sich also die Frage: Ist eine Auswertung nach Jahreszahl oder nach Impfbeginn sinnvoller? Das möchte ich aber zunächst dahin gestellt lassen.

Nach dieser Corona-Welle oder der Impfbeginn-Welle fielen die Sterbezahlen fast kontinuierlich bis zum Tag 69, dem 10. März 2021. Die wesentliche Ursache für diesen Tiefpunkt dürfte erneut in den Grippewellen der Vorjahre liegen, vielleicht auch im diesjährigen Ausfall der Karnevals-, Faschings- und Skisaison, vielleicht auch an einer gewissen protektiven Wirkung der Impfung. Danach stiegen die Sterbezahlen und blieben seit dem 6. April fast durchgehend über 1 (also relative Übersterblichkeit) und auch über den Werten von 2020 (blaue gestrichelte Kurve).

Die letzten Wochen seit Ende Juli sollten nur mit Vorsicht interpretiert werden, da es erfahrungsgemäß bei den Sterbezahlen noch zu Nachmeldungen und Verlagerung vom einen Tag oder Woche auf eine andere Woche (vor und zurück) kommt. Der Abfall der roten Kurve ganz am Ende ist rein technisch bedingt, weil das Programm trotz fehlender Werte weiter rechnet.

Hinzu kommt das Sonderereignis Flutkatastrophe an Ahr und Erft. Laut Wikipedia, darin Stand vom 13. August, starben in Deutschland in deren Folge 183 Menschen. Tatsächlich zeigt die rote Kurve einen Peak am 15. Juli 2021 mit einem Spitzenwert von 1,134 (im Verhältnis zum Mittelwert 2016-19).

In absoluten Zahlen sieht dies aber nicht mehr beeindruckend aus und eine Übersterblichkeit ist auf Bundesebene nicht mehr erkennbar (Tabelle 1). Möglicherweise wurden jene 183 Todesfälle auch nicht alle direkt dem 14. Juli zugeordnet, sondern irgendwelchen Folgetagen. Das würde die „Verdünnung“ sogar noch besser erklären.

Selbst mit bloßem Auge, und bei den oben genannten Begrenzungen, kann man erkennen, dass die rote Kurve im Durchschnitt sowohl über der blauen als auch über 1 liegt, und zwar über lange Zeiträume. Bis zum 8. August einschließlich (letzter Tag in dieser Auswertung von Destatis) starben in 2021 im Mittel 2.742 Menschen pro Tag, gegenüber 2.614 Menschen pro Tag. Dies ergibt eine Differenz von 128 Menschen pro Tag. Bis zum 7. August 2020 (220 Tage, wegen 29. Februar) starben in 2020 575.108 Menschen gegenüber 603.255 bis zum 8. August 2021. Also 28.147 oder 4,9% mehr in 2020. Wenig überraschend: Dies ist eindeutig statistisch signifikant (p < 0.0001, t-Test).

Fazit

Nach den neuesten Zahlen von destatis starben 2021 rund 28.000 Menschen mehr in 2021 als im gleichen Zeitraum in 2020. Und dies obwohl in 2020 doch die angeblich schlimmste Pandemie aller Zeiten wütete und obwohl in 2021 doch die Impfung schützen sollte. Ist vielleicht die Impfung die Ursache für diese Übersterblichkeit?

Nähere Überlegungen dazu in einem Folgeartikel, der die Sterbezahlen pro Altersklasse betrachtet.

Quelle